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Introduction to “Entwerfen Erforschen: Der performative turn in der Architekturlehre” (2016)

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Angelika Schnell

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Schnell, Angelika. “Einleitung”. Entwerfen erforschen: Der “performative turn” im Architekturstudium, edited by Angelika Schnell, Eva Sommeregger and Waltraud Indrist, Berlin, Boston: Birkhäuser, 2016, pp. 8-20. https://doi.org/10.1515/9783035610949-002

Cover of the book “Entwerfen Erforschen: Der performative turn in der Architekturlehre, Birkhäuser Publishers, Basel/Berlin/Boston 2016”

This is the introduction to the book “Angelika Schnell, Eva Sommeregger, Waltraud Indrist (Hrsg.), Entwerfen Erforschen: Der performative turn in der Architekturlehre, Birkhäuser Publishers, Basel/Berlin/Boston 2016”.

Seit Kurzem gilt dem architektonischen Entwurf und seinen Methoden wieder erhöhte Aufmerksamkeit. Insbesondere die sogenannte entwurfsbasierte Forschung (Design-based Research), die Erforschung des epistemologischen Gehalts des architektonischen Entwerfens, steht im Zentrum internationaler Forschung. 1 Am aktuellsten: Margitta Buchert (Hg.), Reflexives Entwerfen. Entwerfen und Forschen in der Architektur, Jovis, Berlin 2014; Sabine Ammon/ Eva Maria Froschauer (Hg.), Wissenschaft Entwerfen. Vom forschenden Entwerfen zur Entwurfsforschung der Architektur, eikones, Wilhelm Fink, München 2013; Murray Fraser, Design Research in Architecture, Routledge, London 2013; Philip Plowright, Revealing Architec-tural Design: Methods, Frameworks and Tools, Routledge, London 2014 2013 haben die Herausgeberinnen dieses Buchs ein Forschungsprojekt mit dem Titel Design Paradigm 2 Design Paradigm wurde 2013 von Angelika Schnell, Eva Sommeregger und Waltraud Indrist initiiert. Siehe: Designparadigm.net initiiert, das besonders die Performativität der Entwurfsmethoden und -mittel untersucht. Wir gehen davon aus, dass das Entwerfen seit Beginn des 20. Jahrhunderts selbstreferenziell gewor-den ist, da zunehmend nicht nur Strukturen und Formen entworfen werden, sondern auch die Prozesse, die diese hervorbringen sollen. Wir nennen diese Entwicklung den performative turn 3 Zum »performative turn« und anderen kulturwissenschaftlichen Neuorientierungen vgl. Doris Bachmann-Medick,  Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften, Reinbek bei Hamburg, Rowohlt 2006, S. 104-143 des architektonischen Entwerfens. Mit ihm forschen wir nicht nur über den Architekturentwurf und seine Methoden, sondern auch mit ihm. Wir nennen die Methode, mit der wir solche Untersuchungen anstellen wollen, entsprechend die performative Methode.

Es war schnell klar, dass zur Umsetzung dieser entwurfsbasierten Forschung diese an die Praxis gekoppelt werden muss, das heißt, an die konkrete Entwurfslehre. Am Institut für Kunst und Architektur an der Akademie der bildenden Künste Wien gibt es die Möglichkeit, theoretisch-historische Forschung mit der Arbeit in einem Entwurfsstudio zu verbinden. Das Institut ist in fünf Plattformen 4 Die fünf Plattformen heißen: ADP (Analogue Digital Production), CMT (Construction | Material | Technologies), ESC (Ecology | Sustainability | Cultural Heritage), GLC (Geographies | Landscapes | Cities) und HTC (History | Theory | Criticism). aufgeteilt, horiziontal organisierte thematische Schwerpunkte, an die Lehrveranstaltungen und Personen frei »andocken« können. Entwurfsstudios werden an allen Plattformen angeboten, so auch an der Plattform HTC (History | Theory | Criticism), der die drei Herausgeberinnen zugeordnet sind.

An drei hintereinander folgenden HTC-Entwurfsstudios sind jeweils auf verschiedene Art und Weise die Performativität der Entwurfs-methoden sowie die performative Methode selbst untersucht worden. Die Studios hießen »Building the Design« (Bachelor, Winter 2012/ 2013), »Building the Theory« (Master, Sommer 2013) und »Play Archi-tecture« (Bachelor, Winter 2013/2014). Es nahmen daran jeweils andere Studierende aus unterschiedlichen Jahrgängen teil, sodass jedes Studio sich sowohl methodisch als auch inhaltlich von den anderen unterscheidet und daher unabhängig betrachtet werden kann. Die Ergebnisse sind zusammen mit flankierenden Gastbeiträgen in diesem Buch zum ersten Mal zusammengefasst und sollen als Grundlage für weitere Forschung dienen.

Im Folgenden wird ein Zwischenstand wiedergegeben, der aus zwei Teilen besteht: einer thesenhaften Einschätzung der Geschichte des architektonischen Entwerfens seit etwa dem Beginn des 20. Jahrhunderts und einer Erläuterung der performativen Methode anhand von Beispielen aus den drei Entwurfsstudios.

Entwurfsmethoden seit Beginn des 20. Jahrhunderts

Die Praxis des architektonischen Entwerfens hat eine eigenständige Historiographie, die mit der lange Zeit üblichen, linear erzählten Stil- und Formgeschichte der Architektur zwar zusammenhängt, aber ihr gleichwohl nicht einfach untergeordnet werden kann. Seit der Renaissance scheint die kontrovers diskutierte Hauptfrage zu sein, ob das disegno das entweder a priori oder a posteriori projizierende Abbilden einer mentalen Vorstellung eines Gebäudes oder Objektes meint. 5 Vgl. insbes. Erwin Panofsky, Idea. Ein Beitrag zur Begriffsgeschichte der älteren Kunsttheorie, Verlag Volker Spiess, Berlin 1993, bes. S. 23-38 In beiden Fällen wird das Entwerfen als zeitlose Tätigkeit verstanden, mit deren Hilfe rationale Welterkenntnis und Weltkontrolle möglich ist. Das gilt bis zu den Publikationen aus den 1960er- und 1970er-Jahren von Horst Rittel, Christopher Alexander, John Chris Jones, die sogar die irrationalen »wicked problems« (Horst Rittel) des Entwerfens nicht ignorierten, sondern als komplex und »bösartig« (so die deutsche Übersetzung von »wicked«) innerhalb der aufgestellten Taxonomien rationalisierten. 6 John Chris Jones, Design Methods, John Wiley & Sons, New York/Chichester/Weinheim/Brisbane/Singapore/Toronto 1992 (1970); Horst Rittel mit Melvin M. Webber, »Dilemmas in a general theory of planning«, in: Policy Sciences 4, 1973, S. 155-206; Christopher Alexander, Notes on the Synthesis of Form, Oxford University Press, New York 1964 Dabei trennten sie zwangsläufig zwischen wissenschaftlichen und intuitiven, bzw. künstlerischen Anteilen des Entwerfens, was sich auch nicht änderte, als ab den 1970er-Jahren die »Überrationalisierung« 7 Siehe Thomas Mitchell, Vorwort zur 2. Auflage, in: John Chris Jones, Design Methods, op. cit., xi zunehmend kritisiert und der Künstler-Architekt wieder eingefordert wurde (darunter auch Christopher Alexander selbst 8 Vgl. Christopher Alexander, Eine Muster-Sprache (A Pattern Language, Oxford University Press, New York 1977); Löcker Verlag, Wien 1995. Alexander hält an der Möglichkeit fest, ein universales Entwurfsmodell aufstellen zu können. ).

Nur wenige Autoren haben versucht, die besondere Praxis des Entwerfens weniger rationalistisch als vielmehr pragmatisch und materialistisch bzw. ausgehend von ihren heterogenen Techniken und Medien und deren spezifischer Geschichte zu erforschen. Zunächst hat der von John Dewey beeinflusste Philosoph Donald Schön mit The Reflective Practitioner einen wichtigen Schritt zur Erforschung der »Tiefenschicht des allgemeinen Entwurfsprozesses« 9 Donald Schön, The Reflective Practitioner. How Professionals Think in Action, Basic Books, New York 1983, S. 77 gemacht, indem er sich weniger für die heterogenen Produkte des architektonischen Entwurfs interessierte, die er bereits 1983 als »confusing« 10 Ibid., S. 78 wertete, als vielmehr für die allgemeinen Merkmale der Meta-Kommunikation von sich gerade in der Entwurfsphase befindlichen Architekten und Architektinnen (seine Sozialstudie fußt naturgemäß auf ihm bekannten Personen der Gegenwart). Er erkennt, dass die Kommunikation beim Entwerfen zugleich visuell und verbal ist, durch das gekennzeichnet, was Michael Polanyi bereits zuvor als »tacit knowledge« bezeichnet hat 11 Michael Polanyi, The Tacit Dimen-sion, The University of Chicago Press, Chicago/London 2009 (1966) und für Außenstehende nur schwer zu verstehen ist. Die subtilen Interaktionen zwischen Bild und Wort, zwischen mehreren Entwerfern bei der »reflection-in-action« werden von Schön als Kommunikationsformen präzise analysiert. Gleichwohl tut er dies aus der Perspektive abstrakter Sprachanalyse. Trotz seiner Beispiele bleibt das konkrete Wissen der Entwurfspraktiken weiterhin nicht greifbar. Fruchtbarer sind deshalb die Forschungen des Architekturhistorikers Robin Evans, der ab den 1970er-Jahren die Entwurfstätigkeit seit der Renaissance im Kontext ihrer konkreten technischen Mittel, ihres systematisierten Wissens und ihrer ästhetischen Absichten untersucht hat, sodass wir diese als zugleich komplexe und heteronome ästhetische Praxis verstehen, mit deren Hilfe wir bestenfalls den Diskurs konstruieren (und dekonstruieren) können, mit dem wir Welterkenntnis und Weltkontrolle betreiben. 12 Robin Evans, Translations from Drawing to Building and Other Essays, AA Documents 2, London 1997; Robin Evans, The Projective Cast. Architecture and Its Three Geometries, MIT Press, Cambridge/Mass. 1995 Evans rückte die Projektion als sowohl konkreten technischen Vorgang als auch als gedankliche Konstruktion zwischen Welt und Idee, zwischen Idee und Bild, zwischen Bild und Objekt in den Vordergrund seiner Untersuchungen. Dadurch eröffnete er neue methodische Wege für die Analyse der Entwurfspraxis, die materiell mit sämtlich verfügbaren Medien und als intellektueller Diskurs mit Kulturtheorie, Anthropologie, Philosophie usw. verknüpft ist.

Unser Forschungsprojekt Design Paradigm folgt Evans’ von Michel Foucault beeinflusster »archäologischer Methode«, deutet aber die enorme Ausdifferenzierung der Entwurfsmethoden als Folge komplexer gewordener Entwurfsprozesse und -relationen mit Auftraggebern, Öffentlichkeit und unterschiedlichsten Medien im 20. und 21. Jahrhundert. Dieser Prozess ist vielfältig und auch nicht einheitlich verlaufen. Gleichwohl gibt es einzelne Bemühungen, ihn als theoretischen Bestandteil der modernen Bewegung an sich zu verstehen. Vor allem in Progetto e utopia hat Manfredo Tafuri das antizipierende Einbeziehen sozialer, technischer, wirtschaftlicher und wissenschaftlicher Aspekte und Kräfte in den Entwurfsprozess als Reaktion auf die »Schrecken« der modernen Großstadt gedeutet: »Die Großstadt, der Ort der absoluten Entfremdung, steht nicht zufällig im Zentrum der avantgardistischen Arbeiten.« 13 Manfredo Tafuri, Progetto e utopia. Architettura e sviluppo capitalistico, Editori Laterza, Roma/Bari 2007 (1973), S. 5; dt.: Kapitalismus und Architektur. Von Le Corbusiers »Utopia« zur Trabantenstadt, VSA, Hamburg/Westberlin 1977, S. 11 Er deutet diese Absicht geradezu psychoanalytisch. Als bürgerliche Intellektuelle, so sieht sie Tafuri, treten Architekten der Angst, die die Großstadt auslöst, mit bürgerlicher Ethik entgegen: »Die Angst durch Erkenntnis und Verinnerlichung ihrer Ursachen zu überwinden – dies scheint eines der grundsätzlichen ethischen Imperative der bürgerlichen Kunst zu sein.« 14 Ibid. Die Folge ist der heroische Versuch, diejenigen politisch-ökonomischen Kräfte, die für das explosive Wachstum der Städte verantwortlich sind, zu erkennen und antizipierend in die architektonische und städtebauliche Planung einzubeziehen. Als Antithese wird das architektonische Objekt zur Kritik des städtischen Chaos, die Architekten zu »Ideologen des Sozialen«. 15 Ibid. S. 7; dt.: ibid., S. 13 Wie die Kunst wollte die Architektur die Negation als dialektisches Mittel nutzen, um die Krise der Stadt zu überwinden, begab sich nach Tafuri jedoch in den Widerspruch, durch das architektonische Objekt zugleich die Wirklichkeit durchdringen und als autonome Form überwinden zu wollen. Tafuri hat Theodor Adornos und Max Horkheimers Thesen aus Dialektik der Aufklärung als Kritik an der modernen Architektur übernommen: »Es ist dies die Dialektik, die den ganzen Verlauf der modernen Kunst durchzieht: einerseits die Versuche, bis in die innersten Strukturen der Wirklichkeit vorzudringen, um ihre Werte und ihre Misere zu erkennen und zu verarbeiten, andererseits der Wille, sich über die Wirklichkeit hinauszuschwingen, um von Grund auf neue Realitäten, neue Werte, neue öffentliche Symbole zu schaffen.« 16 Ibid., S. 25; dt.: ibid., S. 26

Diese Strategie ist nach Tafuri gescheitert; die Architekturavantgarde hat seiner Auffassung nach keine wirkliche Lösung für die Stadtentwicklung gefunden. Durch ihre idealistischen Ansprüche, die kapitalistischen Produktionsbedingungen als Teil der Bauproduktion anzunehmen, aber zugleich darauf zu hoffen, diese mittels Architektur für eine bessere Zukunft komplett umzugestalten, gerieten die modernen Architekten in Widersprüche, die sie nicht lösen konnten. Tafuri schließt sich der im neo-marxistischen Umfeld der 1960er- und 1970er-Jahre verbreiteten Auffassung an, die Avantgarde sei an ihren inneren Widersprüchen und weniger an äußeren Repressionen durch Faschismus oder Stalinismus gescheitert.

An diesem Punkt verlassen wir mit Design Paradigm Tafuris Analyse, bzw. unser Forschungsvorhaben schließt genau bei dieser vermeintlich aussichtslosen Perspektive an. Tafuris marxistische Analyse hat ihm den Blick auf die enorme Vielfalt an Entwurfsmethoden und -prozessen verstellt, die durch den von ihm identifizierten Widerspruch herausgefordert worden sind. Der Versuch, den Wandel vorauszusehen und vielleicht sogar zu kontrollieren, hat auf mannigfaltige Weise dazu geführt, dass sich Architekten darum bemühten, den Entwurfsprozess selbst transparent zu machen, sodass die Einbeziehung heterogener sozialer, technischer oder ökonomischer Kräfte unmittelbar anschaulich wird. Daraus entstand die Notwendigkeit, nach neuen Darstellungsformen und visuellen Medien Ausschau zu halten – Diagramme, Statistiken, Drehbücher, Anleitungen, Szenarien, Collagen, Filme usw. –, die die verschiedenen Zeitebenen und den Entwurfsprozess selbst konzeptualisieren und ihn damit als Vorgang sichtbar machen. Und diese Vielfalt an Ideen, Materialien und Medien ist nicht zwangsläufig an kapitalistische Produktions-bedingungen gebunden. Die »Ideologen des Sozialen« etablierten stattdessen den Entwurfsprozess als soziale Praxis. Ob Le Corbusier mit seinen comicartigen Skizzen, ob Ludwig Hilberseimer mit seinen Diagrammen, ob Ludwig Mies van der Rohe mit seinen Collagen aus Zeichnungen und Photographien: Anfang des 20. Jahrhunderts dominiert das ästhetische Experiment, den Schritt zwischen Idee und Planzeichnung, den Entwurf, die Projektion selbstreferenziell in einer eigenen Darstellungsform zu veranschaulichen, die wir – in Ermangelung eines eigenständigen Namens – vorläufig »konzeptuelle Entwurfsdarstellung« oder »konzeptuelles Entwurfsbild« nennen wollen.

Diese Art des konzeptuellen Entwerfens, bei der der Entwurf gewissermaßen ebenso entworfen wird, weil es genau dieser Prozess ist, der das Zeitliche, das Szenarienhafte, das Veränderliche am Entwurf unmittelbar vergegenwärtigt, geht über das Renaissance-Konzept des disegno hinaus. Unsere These ist, dass die komplexe Tätigkeit des Entwerfens nun eine zusätzliche Dimension erhielt, die zwar schon immer da war, aber nun als konzeptuelle zum ersten Mal sicht- und greifbar wird: die Zeit. Wir gehen davon aus, dass in dem Maße, in dem uns der Entwurfsprozess selbst entgegentritt – als Konzept, als Folge von strukturierten Ereignissen, als Möglichkeitsfeld, als Handlung –, es möglich wird, ihn mit seiner eigenen »Zeit-gestalt« (Ernst Cassirer) zu erkennen und zu untersuchen, die mit der homogenen und messbaren Linearzeit der Außenwelt nur an bestimmten strategischen Punkten verknüpft ist. 17 Vgl. hierzu bes.: Karin Gloy, Zeit. Eine Morphologie, Verlag Karl Alber, Freiburg/München 2006; Johannes Myssok / Ludger Schwarte (Hg.), Zeitstrukturen. Techniken der Vergegenwärtigung in Wissenschaft und Kunst, Reimer Verlag, Berlin 2013 Innerhalb seiner eigenen qualitativen und geschlossenen Handlungszeit (und auch seines eigenen Handlungsraums) ist der Entwurfsprozess nicht an die lineare Folge von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gebun-den. 18 Karin Gloy, Zeit, op. cit., bes. S. 73-87 Vielmehr kann er sich in viele Richtungen entfalten, heterogen und singulär, weshalb es nicht möglich ist, eine einheitliche formale und/oder ästhetische Kategorie des modernen Entwerfens als Handlungsmodell zu definieren. Das, was wir als einzige Gemeinsamkeit erkennen können, ist, dass nun nicht mehr nur eine Idee vorgestellt (repräsentiert), sondern dargestellt (vergegenwärtigt) wird. Das heißt, die Inhalte, von denen in der Zeichnung gesprochen wird, werden vollzogen. Und diese Beobachtung führt uns zum Konzept der Performativität.

Die performative Methode

Um die These des »performativen« Entwerfens zu veranschaulichen, beginnen wir mit einem einfachen Beispiel, das noch keine Entwurfszeichnung ist, sondern zunächst nur eine typische nüchterne Projekt- und Entwurfsbeschreibung eines modernen Architekten. Ludwig Mies van der Rohe schreibt 1927 »zu seinem Block« in der Stuttgarter Weißenhofsiedlung: »Wirtschaftliche Gründe fordern heute beim Bau von Mietwohnungen Rationalisierung und Typisierung ihrer Herstellung. Diese immer steigende Differenzierung unserer Wohnbedürfnisse aber fordert auf der anderen Seite größte Freiheit in der Benützungsart. Es wird in Zukunft notwendig sein, beiden Tendenzen gerecht zu werden. Der Skelettbau ist hierzu das geeignete Konstruktionssystem. Er ermöglicht eine rationelle Herstellung und lässt der inneren Raumaufteilung jede Freiheit. Beschränkt man sich darauf, lediglich Küche und Bad ihrer Installation wegen als konstante Räume auszubilden und entschließt man sich dann noch, die übrige Wohnfläche mit verstellbaren Wänden aufzuteilen, so glaube ich, daß mit diesen Mitteln jedem berechtigten Wohnanspruch genügt werden kann.« 19 Ludwig Mies van der Rohe, »Zu meinem Block«, zitiert nach: Jürgen Joedicke, Weißenhof-Siedlung Stuttgart, Karl Krämer Verlag, Stuttgart 1989, S. 59 Auf den ersten Blick enthält diese Beschreibung nichts Ungewöhnliches: Wie es sich für einen modernen Architekten mit sozialem Auftrag gehört, geht Mies von wirtschaftlichen und sozialen Prozessen aus, für die die Architektur Lösungen finden soll. Nun spricht er aber von Prozessen, die offenbar widersprüchlich sind. Die wirtschaftlichen Kräfte streben nach Rationalisierung und Typisierung, die sozialen nach zunehmender Ausdifferenzierung der Bedürfnisse. Daraus leitet sich für Mies aber kein Problem ab, vielmehr hat die Architektur jetzt schon die Antwort auf »beide Tendenzen«, wie er schreibt: nämlich den Skelettbau. Er lässt jedoch offen, ob der Skelettbau die Folge dieser Prozesse oder deren Antizipation ist, ob er also zuallerst dazu dient, diese Prozesse zu ermöglichen und umzusetzen. Er schreibt bloß: »Der Skelettbau ist hierzu das geeignete Konstruktionssystem.«

Nach üblicher Lesart scheint es klar, dass Mies Schwierigkeiten hat, das geschichtsphilosophische Fortschrittsmodell, das man der modernen Architektur zuschreibt, zu bestätigen. Der Skelettbau wird von ihm keineswegs als utopische Lösung angepriesen, er ist keine kritische Überwindung der Gegenwart, wie Tafuri von der Avantgarde erwartet hat, sondern ist mit einem Zeitraum verbunden, der offenbar zwischen einem Vorlaufen in die nahe Zukunft und einem Zurücklaufen in die gerade vergangene Gegenwart oszilliert. Dieses eigentümliche Schwanken drückt nach unserer Auffassung eben jenen performativen Vorgang des Entwerfens aus, der zwar nach außen mit der physikalisch messbaren oder der historischen Zeit verbunden ist, aber daneben auch seine eigene innere Handlungszeit kennt. Mies’ Entwurf, gesehen als Handlungsmodell, besteht aus einer dem Entwurf äußerlichen Zeitrichtung (eine bessere Zukunft, die Mies zweifelsfrei anstrebt) und einer innerlichen Zeitrichtung, die sich auf den Prozess des Entwurfs selbst bezieht. Anders ausgedrückt: In Mies’ Worten konstituiert der Skelettbau die soziale und wirtschaftliche Wirklichkeit, nach der er eben selbst geschaffen wurde bzw. die sein Inhalt ist. Er bezeugt, was er sichtbar macht. Er ist selbstreferenziell, er vollzieht die Inhalte, von denen er selbst spricht: Er ist »performativ«.

Performativität ist eine Theorie, die unseres Erachtens geeignet ist, um die Logik der nach innen gerichteten Handlungszeit im modernen Architekturentwurf zu entschlüsseln. Sie stammt aus der Sprechakttheorie, die in den 1950er- und 1960er-Jahren von dem Sprachphilosophen John Austin entwickelt wurde. 20 John Austin, How to do Things With Words, Vorlesungen 1955 an der Harvard University, Oxford 1975 (1962) Die Theorie geht davon aus, dass sprachliche Inhalte auch an das körperliche Aussprechen dieser Inhalte gebunden sind. Erika Fischer-Lichte, die zur Performativität mehrere Publikationen herausgebracht hat, interpretiert Austins bekanntestes Beispiel, den Vollzug einer Eheschließung. Mit dem Satz des Standesbeamten: »Hiermit erkläre ich Sie zu Mann und Frau«, wird »nicht ein bereits bestehender Sachverhalt beschrieben – weswegen er auch nicht als ›wahr/richtig‹ oder als ›falsch‹ klassifiziert werden kann. Vielmehr wird mit diesen Äußerungen ein neuer Sachverhalt geschaffen: […] Das Aussprechen dieser Sätze hat die Welt verändert. Denn die Sätze sagen nicht nur etwas, sondern sie vollziehen genau diese Handlung, von der sie sprechen. Sie sind selbstreferenziell, das heißt beziehen sich auf sich selbst, insofern sie das bedeuten, was sie tun, und sie sind wirklichkeitskonstituierend, indem sie die soziale Wirklichkeit herstellen, von der sie sprechen.« 21 Erika Fischer-Lichte, Performativität. Eine Einführung, transcript, Bielefeld 2012,S. 38

Natürlich gibt es nicht nur eine Theorie der Performativität. Nach den linguistischen bzw. sprachphilosophischen Theorien von John Austin und John Searle haben sich vor allem kulturwissenschaftliche Philosophen und Theoretiker wie Judith Butler, Jacques Derrida oder Sybille Krämer mit der Performativität auseinandergesetzt und dabei auch nichtsprachliche und fiktive Inszenierungen und Performances bewusst einbezogen. Beispielsweise spricht Sybille Krämer von »Blick-Akten« 22 Sybille Krämer, »Gibt es eine Performanz des Bildlichen? Reflexionen über ›Blickakte‹«, in: Ludger Schwarte (Hg.), Bild-Performanz, Wilhelm Fink Verlag, München 2011, S. 63-90 , wodurch Bilder ebenso als performativ verstanden werden können. Es gibt inzwischen eine Flut an Literatur, die auf diesen wirklichkeitserzeugenden und sozialen Charakter der »Bild-Performanz« verweist. 23 Ludger Schwarte (Hg.), Bild-Performanz, op. cit.; Erika Fischer-Lichte, Performativität. op. cit.; Doris Bachmann-Medick, Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften, Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2006; Uwe Wirth (Hg.), Performanz. Zwischen Sprachphilosophie und Kulturwissenschaften, Suhrkamp, Frankfurt am Main 2002 Was freilich bei all den genannten Publikationen auffällt (und das gilt auch für die englischsprachigen), ist, dass nirgends ein direkter Bezug von Performativität zum architektonischen Entwurfsprozess hergestellt wird. Das mag zumeist der Tatsache geschuldet sein, dass sämtliche Theoretikerinnen und Theoretiker des Performativen aus den sprachbezogenen Kulturwissenschaften stammen und sich in der Architektur und deren entwerferischen Prozessen nicht gut auskennen. Umgekehrt findet man aber gleichfalls nur vereinzelt ein systematisches Aufeinanderbeziehen von Architektur und Performativität. Dabei reduziert sich Performativität oft auf die Bedeutung von »Aufführung« oder »Inszenierung«. Aber die Theorien der Performativität gehen weiter: Sie versuchen, die innere Logik einer Handlung zu erfassen, die vollzieht, was sie sagt, deshalb interessieren wir uns für diese Selbstreferenzialität, die wir im modernen Entwurfsprozess wiederfinden.

Ganz besonders deutlich wird dies, wenn man sich die Visualisierungen des architektonischen Entwurfs anschaut. Wie bereits gesagt, fällt es auf, dass mit der Moderne eine Vielzahl von Entwurfszeichnungen oder -bildern entstehen, die einen anderen Status als die herkömmlichen Entwurfszeichnungen von Skizzen oder ersten Planzeichnungen zu haben scheinen und auch anders aussehen. Es handelt sich um konzeptuelle Darstellungen, die weniger einen künftigen Zustand als vielmehr den Prozess abbilden, durch den man zu diesem Zustand gelangt. Solche konzeptuellen Darstellungen sind offenkundig der Hinweis, dass es notwendig geworden ist, zu demonstrieren, auf welche Weise die neue Architektur den gesellschaftspolitischen Wandel bewältigen und bewerkstelligen kann.

Um die innere Logik dieser »konzeptuellen Entwurfsdarstellungen« zu verstehen, haben wir beschlossen, diese – entsprechend ihres eige-nen selbstreferenziellen Charakters – unmittelbar mit denselben Mitteln »performativ« zu untersuchen, mit denen sie entstanden sind. An diesem Punkt war es notwendig, die Forschung mit der Lehre zu verknüpfen. An der Plattform HTC (History | Theory | Criticism) haben drei hintereinander folgende Entwurfsstudios jeweils auf verschiedene Art und Weise die Performativität der Entwurfsmethoden sowie die performative Methode selbst untersucht. 24 Die Studios wurden alle konzipiert und betreut von Angelika Schnell und Eva Sommeregger.

»Building the Design« war das erste Studio und zugleich die Grundlage für die nachfolgenden Studios. Den Studierenden wurden bekannte und weniger bekannte »konzeptuelle Entwurfsbilder« von Architekten und Architektinnen des 20. und 21. Jahrhunderts vorgelegt. Die Bilder von Kasimir Malewitsch, Theo van Doesburg, Le Corbusier, Ludwig Mies van der Rohe, Friedrich Kiesler, Alison and Peter Smithson, Superstudio, Aldo Rossi, Peter Eisenman, Rem Koolhaas, Neil Spiller, Lebbeus Woods waren sehr unterschiedlich, gleichwohl war ihnen gemeinsam, dass sie weder traditionelle Entwurfsskizze noch bereits fertige Entwurfszeichnung sind. Die Studierenden waren zum »entwerfenden Forschen« aufgefordert, indem sie dieselben visuellen Mitteln nutzen sollten, mit denen das von ihnen untersuchte Bild entstanden war.

Ihnen fiel auf, dass die visuellen Mittel der »konzeptuellen Entwurfsbilder« oft von anderen Disziplinen entlehnt waren, denen der Faktor Zeit immanent ist wie Film und Photographie, Theater, Tanz und Performances, genauso Literatur, Comics oder Musiknotation. Berühmt ist beispielsweise Le Corbusiers umfassender Gebrauch neuer Medien für den Entwurfsprozess: Die »promenade architecturale« ist direkt aus der kinematographischen Idee eines Körpers, der sich durch den Raum bewegt, geboren. 25 Vgl. u. a.: Tim Benton, The Villas of Le Corbusier and Pierre Jeanneret 1920-1930, Birkhäuser, Basel/Boston/Berlin 2007; Flora Samuel, Le Corbusier and the Architectural Promenade, Birkhäuser, Basel/Boston/ Berlin 2010; Elisabeth Blum, Le Corbusiers Wege: Wie das Zauberwerk in Gang gesetzt wird, Bauwelt Fundamente Nr. 73, Vieweg, Braunschweig 1991 Um solche Bewegungsstudien zu illustrieren, nutzte Le Corbusier sehr oft einen Zeichen- und Skizzierstil, der an Comicstrips erinnert und von Desislava Petkova und Paula Strunden in seinen kommunikativen und flexiblen Funktionen beeindruckend szenisch nachgestellt wurde. Dabei wurde die sonst so monolithisch erscheinende Künstlerpersönlichkeit Le Corbusiers als zugleich fragende, reflektierende und schöpferische Person erkennbar. Aber auch die Zeichnung selbst (es handelte sich um eine bekannte Skizze aus La ville radieuse) wurde als Gemachtes sichtbar. Jedes Detail stellte sich als präzise Beziehung zu einem Gedanken dar, und die comicartige Skizze wurde in ihrer Reichhaltigkeit erfahrbar.

Ludwig Mies van der Rohe hingegen wählte für einige seiner konzeptuellen Entwurfscollagen, wie zum Beispiel für das Resor House (1939) oder für seine Studie »Museum for a small city« (1942), populäre Photographien aus den Massenmedien aus, die den Innenraum »konstruieren« sollen, und kontrastierte sie im selben Bild mit seinen zarten Handzeichnungen der Gebäudekonstruktion. Der radikal moderne Raumeindruck, der auf diese Weise im Bild entsteht, ist durch die Unterdrückung perspektivischer Tiefe, durch Abstraktheit und zugleich durch ein visuelles Wissen gekennzeichnet, das zunehmend durch die Medien geprägt wird. 26 Siehe insbesondere Neil Levine, »The Significance of Facts: Mies’s Collages up Close and Personal«, in: Assemblage 37 (1998), S. 70-101 Nähe und Ferne sind als räumliches und als zeitliches Phänomen erfahrbar, aber nicht durch äußere Messungen, sondern nur durch die Relationen der einzelnen Elemente zueinander: Am stärksten ist dieser Eindruck bei dem nur durch die mit Bleistift gezeichneten Stützen gerahmten Panoramafenster des Resor House, in das ein Photo geklebt ist, auf dem man zwei amerikanische Cowboys sieht, allerdings durch ein Teleobjektiv aufgenommen, sodass der Panoramaeffekt des Ausblicks durch ein Close-up irritiert wird. Infolgedessen ist nicht nur räumliche Tiefe, sondern auch messbare Zeit im Bild unterdrückt, sodass die so verdichtete Collage ihre eigene raum-zeitliche Logik offenbart. 27 Zur raum-zeitlichen Eigenlogik von Bildern vgl. bes. Ludger Schwarte, »Die Architektur der Zeit«, in: Johannes Myssok/Ludger Schwarte (Hg.), Zeitstrukturen, op. cit., bes. S. 142 Mario Kaya und Julian Nocker haben mittels Computeranimationen versucht, messbare Zeitabläufe in die Collage einzubauen. Die konzeptuelle Logik des Bildes lässt aber nur sehr langsame Änderungen in der Landschaft Wyomings und ihrer Zyklen (Tag/Nacht, Sonnenauf- und -untergang, Regen, Schnee usw.) zu. Dadurch wird der paradoxe Haupteffekt des Bildes, zugleich modern und zeitlos zu sein, offenbar.

Gleichermaßen und doch jedes Mal anders wurde Alison und Peter Smithsons Patio & Pavilion-Konzept von 1956 als wilde Collage von historischen und heutigen Funden nachgestellt (Nadja Götze und Jasmin Schienegger), Kasimir Malewitschs suprematistische Architekturzeichnungen durch dreidimensionale analytisch-schwebende Modelle in ihrer zweidimensionalen Flachheit rekonstruiert (Avin Fathulla und David Rasner), Aldo Rossis analoge Entwurfsmethode in einem selbst gebauten »Rossi-Theater« als ambivalentes Erinnerungsmodell vorgeführt (Kay Sallier und Doris Scheicher). Das Ergeb-nis war eine Ausstellung von zwölf unterschiedlichen »Re-enactments«, die genauer und anschaulicher als jede konventionelle Forschung den prozesshaften und konzeptuellen Charakter der Entwurfsbilder verdeutlichten. 28 Die Ausstellung wurde als Teil des jährlichen Akademierundgangs im Januar 2013 am Institut für Kunst und Architektur an der Akademie der bildenden Künste Wien gezeigt.

Im darauf folgenden Sommersemester hat eine kleine Gruppe von Masterstudierenden die Ergebnisse von »Building the Design« theoretisch reflektiert. Ihre Aufgabe bestand gleichwohl nicht nur darin, einen Aufsatz zu verfassen, sondern sie sollten sich auch mit dem Problem der Speicherung und Veröffentlichung von entwurfsbasierter Forschung beschäftigen. Die Studierenden waren deshalb aufgefordert, eine eigene Publikation zu gestalten, die die Textbeiträge auch durch eigene bildhafte Entwürfe weiterentwickeln konnte. Sie entwickelten und produzierten das Buch Heterokopien, aus dem der Beitrag von Maximilian Müller über das »Rossi-Re-enactment« von Kay Sallier und Doris Scheicher hier exemplarisch abgedruckt ist. Er untersucht die Nähe der »strukturalistischen Tätigkeit« von Roland Barthes zur performativen Methode und ist somit ein wertvoller Beitrag zur aktuellen Forschung von Design Paradigm.

Im Wintersemester 2013/2014 wurde der Fokus auf die mediale Inszenierung des performativen Entwerfens gelegt. »Play Architecture« fußte auf ausgesuchten Texten aus Wissenschaft und Literatur, die sich mit dem Wohnen als sozialem und räumlichem Phänomen beschäftigen. Die zehn Texte reichten von der Antike bis zur Gegenwart, ihre Verfasser waren Dichter, Philosophen, Wissenschaftler, aber keine Architekten. Nachdem sie jeweils ein Buch ausgewählt hatten, sollten die Studierenden durch filmische Entwürfe die sozial-räumliche Wirklichkeit des dort beschriebenen Wohnens und Seins veranschaulichen. Auf die methodische Grundfrage, ob ein zeitbasierter Entwurfsprozess zutreffender durch Bewegtbilder ausgedrückt werden kann, haben einige Arbeiten aufschlussreiche Antworten gegeben. Eva Herunters und Roxi Rieders Visualisierung von Vilém Flussers Idee einer von medialen Kanälen durchlöcherten modernen Welt nutzt die filmische Animation, um scheinbar Irreales darzustellen, das dennoch ein Grundlegendes unseres modernen Seins offenbart. Fabian Puttinger, Julian Raffetseder und Jiří Tomíček haben hingegen Norbert Elias’ höfische Gesellschaft in ein Computerspiel übersetzt, das dessen These von der in den Räumen ablesbaren Etikette vergegenwärtigt.

Natürlich hat die »performative« Forschung ein bestimmtes Problem. Sie erfordert die Präsenz und Einbezogenheit des Publikums, das während der Aufführung die Ergebnisse der entwurfs-
basierten Forschung sieht und hört, weil so das Prozessuale des Entwurfs, das sinnliche Denken selbst erkennbar wird. Wir beziehen uns mit dieser Methode teilweise auf neuere kulturwissenschaftliche Forschung, die sich mit Performanz beschäftigt und ebenfalls andere Formen einer »praktischen Ästhetik« erprobt, dezidiert auch als Kritik an der Normativität einer »streng logozentrisch orientierten Weltauffassung«. 29 Gesa Ziemer, Verletzbare Orte. Entwurf einer praktischen Ästhetik, Diaphanes, Zürich/Berlin 2008, S. 12 Gleichwohl sind wir nicht gegen tradierte Formen der Forschung, wir betonen im Moment vor allem das Experiment mit neuen Formen. Damit befinden wir uns noch am Anfang, weshalb wir in unserer ersten Publikation Entwerfen Erforschen vor allem den drei Entwurfsstudios Raum geben, gerahmt von Gastbeiträgen, die diese performative Forschung in ihrem kulturwissenschaftlichen Kontext diskutiert.

Claudia Slanar, Elke Krasny und August Sarnitz haben die drei Entwurfsstudios als Gäste begleitet. Wir sind froh, dass sie bereit waren, ihre kritisch-theoretischen Aufsätze aus ihren jeweils ganz unterschiedlichen Blickwinkeln mit uns zu teilen. Claudia Slanars Beitrag stellt den Kontext zur aktuellen Forschung zu Re-enactments in der zeitgenössischen Kunst her. Dort sind solche Verfahren schon länger bekannt und werden in der ästhetischen und kunsttheoretischen Forschung entsprechend diskutiert. August Sarnitz verdeutlicht, welchen Wert performative Methoden auch für eine modernere Architekturgeschichte haben können. Deren hermeneutische Tradition soll nicht untergraben werden, vielmehr geht es darum, die historische Forschung sowohl inhaltlich als auch methodisch zu bereichern. Elke Krasny hat auf eindringliche Weise klargemacht, welchen erkenntnistheoretischen Wert performative Formate in der Architekturlehre und in der Architekturforschung haben können. Ihr Beitrag ist selbst wie ein performativer Akt geschrieben, sodass Leserinnen und Leser das Kreisen der Gedanken unmittelbar nachvollziehen können.

Als Mitbegründerinnen von Design Paradigm sind die Beiträge von Eva Sommeregger und Waltraud Indrist direkt mit dem Thema von Performativität in der Entwurfsforschung verbunden. Beider Dissertationsvorhaben sind darauf bezogen. Eva Sommereggers Forschung betrifft die komplexen Beziehungen von Eigenbewegung, Bewegtbildern und räumlicher Verortung. Die Ergebnisse des Studios »Play Architecture« waren deshalb für sie ein wertvolles Experimentierfeld. In ihrem Beitrag analysiert sie präzise die Möglichkeiten, den Raum mittels Animationssoftware bzw. Bewegtbildern performativ zu entwerfen. Was einfach scheint – ein Subjekt bewegt sich durch den Raum –, ist tatsächlich ein komplexes Wechselverhältnis zwischen den jeweils unterschiedlichen Verhältnissen zwischen Subjekt, Objekt, Raum und Darstellung. Waltraud Indrist beschäftigt sich ebenfalls mit den Medien und Materialien der Darstellung in der Architektur und ihrer Erforschung. Sie nutzt unter anderem die Photographie als »performative Methode«, um die Art und Weise, wie in der Architektur Hans Scharouns das Wohnen als sozial-räumliches Phänomen entworfen wurde, nachzuvollziehen und – ähnlich einer experimentellen Archäologie – zu analysieren. Ihre eigene performative Arbeit sowie die Arbeit der Studierenden aus dem Studio »Play Architecture« im philosophischen Kontext der Phänomenologie analysierend, eröffnet das, was Waltraud Indrist »phänomenologische Protokolle« nennt, der weiteren performativen Forschung neue Wege.

Besonders froh sind wir natürlich darüber, dass manche der Studierenden ihre Arbeit aus den HTC-Entwurfsstudios weitergeführt haben, weshalb wir sie im Buch ebenfalls wiedergeben. Desislava Petkova und Paula Strunden haben monatelang über Le Corbusiers Vortragsformate recherechiert. Herausgekommen ist ein Comicstrip, der Le Corbusiers Eigenheit, comicartig zu skizzieren, aufnimmt, um ihre eigene Forschung einem Publikum zu kommunizieren. Und Avin Fathulla hat seine Untersuchung von Kasimir Malewitschs »Architektons« in seiner Masterarbeit fortgeführt, die mit dem Preis der Freunde der bildenden Künste, Wien, ausgezeichnet wurde.

Zum Schluss möchten wir uns beim Institut für Kunst und Architektur, das es uns ermöglicht hat, Forschung an Lehre zu koppeln, und bei allen Kolleginnen und Kollegen bedanken, die während dieser drei Semester mit ihrer Kritik und ihrer Unterstützung eine große Hilfe waren. Antje Lehn, Lisa Schmidt-Colinet und Wolfgang Tschapeller haben regelmäßig die Studierendenarbeiten begleitet und diskutiert. Unsere Gäste bei den Präsentationen waren Christina Condak, Christian Fröhlich, Daniela Herold, Romana Scheffknecht, Werner Skvara, Andreas Spiegl, Hannes Stiefel, Christian Tonko, Anna Viebrock, Bernd Vlay, Gerd Zillner. Sie alle waren unverzichtbarer Teil des Projekts. Bedanken möchten wir uns aber auch ganz besonders bei denjenigen, die die vorliegende Publikation durch finanzielle Unterstützung möglich gemacht haben: beim Rektorat der Akademie der bildenden Künste Wien, besonders bei der Vizerektorin für Kunst | Forschung, Andrea B. Braidt, bei Sylvia Eisenburger Kunz, Generalsekretärin der Gesellschaft der Freunde der bildenden Künste, Wien, und bei der Österreichischen Hochschüler_innenschaft (ÖH) – Studienvertretung Architektur. Wir hoffen, dass ihnen und unseren Leserinnen und Lesern das Buch neue Einblicke in das Erforschen des Entwerfens ermöglicht.

  1. Am aktuellsten: Margitta Buchert (Hg.), Reflexives Entwerfen. Entwerfen und Forschen in der Architektur, Jovis, Berlin 2014; Sabine Ammon/ Eva Maria Froschauer (Hg.), Wissenschaft Entwerfen. Vom forschenden Entwerfen zur Entwurfsforschung der Architektur, eikones, Wilhelm Fink, München 2013; Murray Fraser, Design Research in Architecture, Routledge, London 2013; Philip Plowright, Revealing Architec-tural Design: Methods, Frameworks and Tools, Routledge, London 2014
  2. Design Paradigm wurde 2013 von Angelika Schnell, Eva Sommeregger und Waltraud Indrist initiiert. Siehe: Designparadigm.net
  3. Zum »performative turn« und anderen kulturwissenschaftlichen Neuorientierungen vgl. Doris Bachmann-Medick,  Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften, Reinbek bei Hamburg, Rowohlt 2006, S. 104-143
  4. Die fünf Plattformen heißen: ADP (Analogue Digital Production), CMT (Construction | Material | Technologies), ESC (Ecology | Sustainability | Cultural Heritage), GLC (Geographies | Landscapes | Cities) und HTC (History | Theory | Criticism).
  5. Vgl. insbes. Erwin Panofsky, Idea. Ein Beitrag zur Begriffsgeschichte der älteren Kunsttheorie, Verlag Volker Spiess, Berlin 1993, bes. S. 23-38
  6. John Chris Jones, Design Methods, John Wiley & Sons, New York/Chichester/Weinheim/Brisbane/Singapore/Toronto 1992 (1970); Horst Rittel mit Melvin M. Webber, »Dilemmas in a general theory of planning«, in: Policy Sciences 4, 1973, S. 155-206; Christopher Alexander, Notes on the Synthesis of Form, Oxford University Press, New York 1964
  7. Siehe Thomas Mitchell, Vorwort zur 2. Auflage, in: John Chris Jones, Design Methods, op. cit., xi
  8. Vgl. Christopher Alexander, Eine Muster-Sprache (A Pattern Language, Oxford University Press, New York 1977); Löcker Verlag, Wien 1995. Alexander hält an der Möglichkeit fest, ein universales Entwurfsmodell aufstellen zu können.
  9. Donald Schön, The Reflective Practitioner. How Professionals Think in Action, Basic Books, New York 1983, S. 77
  10. Ibid., S. 78
  11. Michael Polanyi, The Tacit Dimen-sion, The University of Chicago Press, Chicago/London 2009 (1966)
  12. Robin Evans, Translations from Drawing to Building and Other Essays, AA Documents 2, London 1997; Robin Evans, The Projective Cast. Architecture and Its Three Geometries, MIT Press, Cambridge/Mass. 1995
  13. Manfredo Tafuri, Progetto e utopia. Architettura e sviluppo capitalistico, Editori Laterza, Roma/Bari 2007 (1973), S. 5; dt.: Kapitalismus und Architektur. Von Le Corbusiers »Utopia« zur Trabantenstadt, VSA, Hamburg/Westberlin 1977, S. 11
  14. Ibid.
  15. Ibid. S. 7; dt.: ibid., S. 13
  16. Ibid., S. 25; dt.: ibid., S. 26
  17. Vgl. hierzu bes.: Karin Gloy, Zeit. Eine Morphologie, Verlag Karl Alber, Freiburg/München 2006; Johannes Myssok / Ludger Schwarte (Hg.), Zeitstrukturen. Techniken der Vergegenwärtigung in Wissenschaft und Kunst, Reimer Verlag, Berlin 2013
  18. Karin Gloy, Zeit, op. cit., bes. S. 73-87
  19. Ludwig Mies van der Rohe, »Zu meinem Block«, zitiert nach: Jürgen Joedicke, Weißenhof-Siedlung Stuttgart, Karl Krämer Verlag, Stuttgart 1989, S. 59
  20. John Austin, How to do Things With Words, Vorlesungen 1955 an der Harvard University, Oxford 1975 (1962)
  21. Erika Fischer-Lichte, Performativität. Eine Einführung, transcript, Bielefeld 2012,S. 38
  22. Sybille Krämer, »Gibt es eine Performanz des Bildlichen? Reflexionen über ›Blickakte‹«, in: Ludger Schwarte (Hg.), Bild-Performanz, Wilhelm Fink Verlag, München 2011, S. 63-90
  23. Ludger Schwarte (Hg.), Bild-Performanz, op. cit.; Erika Fischer-Lichte, Performativität. op. cit.; Doris Bachmann-Medick, Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften, Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2006; Uwe Wirth (Hg.), Performanz. Zwischen Sprachphilosophie und Kulturwissenschaften, Suhrkamp, Frankfurt am Main 2002
  24. Die Studios wurden alle konzipiert und betreut von Angelika Schnell und Eva Sommeregger.
  25. Vgl. u. a.: Tim Benton, The Villas of Le Corbusier and Pierre Jeanneret 1920-1930, Birkhäuser, Basel/Boston/Berlin 2007; Flora Samuel, Le Corbusier and the Architectural Promenade, Birkhäuser, Basel/Boston/ Berlin 2010; Elisabeth Blum, Le Corbusiers Wege: Wie das Zauberwerk in Gang gesetzt wird, Bauwelt Fundamente Nr. 73, Vieweg, Braunschweig 1991
  26. Siehe insbesondere Neil Levine, »The Significance of Facts: Mies’s Collages up Close and Personal«, in: Assemblage 37 (1998), S. 70-101
  27. Zur raum-zeitlichen Eigenlogik von Bildern vgl. bes. Ludger Schwarte, »Die Architektur der Zeit«, in: Johannes Myssok/Ludger Schwarte (Hg.), Zeitstrukturen, op. cit., bes. S. 142
  28. Die Ausstellung wurde als Teil des jährlichen Akademierundgangs im Januar 2013 am Institut für Kunst und Architektur an der Akademie der bildenden Künste Wien gezeigt.
  29. Gesa Ziemer, Verletzbare Orte. Entwurf einer praktischen Ästhetik, Diaphanes, Zürich/Berlin 2008, S. 12